Uwe Schäfer

Das Land schläft, die Stadt ist tot.
Hansjörg Fröhlich

Bewegung. Wie ein Wanderer durchschreiten wir Uwe Schäfers Ausstellung – nicht mit den Beinen, sondern mit den Augen. Die Wege sind nicht markiert und doch vorgegeben. Man erkennt sie an den Schatten, die sie ins Tal werfen. Entlang der Höhenlinien führt der Pfad in einen Perspektivenwechsel: Was vor uns lag, liegt nun unter uns, 45 Grad, Landeanflug. Wir sehen Atolle untergegangener Kontinente, die dem Abdruck eines Glases auf einem Tischtuch ähneln. Leere Zellen ohne Zellkern, warten auf eine In-vitro-Fertilisation. Je nach Beleuchtung springt das Signal von Rot auf Grün, die Form von positiv zu negativ, vice versa. Wir stehen vor Pangaea, dem Urkontinent, und sehen wie andersartig zerbrochen er sein könnte. Die Schatten der Bruchstücke ergeben andere Formen, andere Zeiten, andere Geschicke. Sie haben noch keine Namen, sind Puffer-Kontinente, Erfindungen, die sich zwischen ihren Erfinder und die Realität stellen, um ihn zu schützen. Umrisse eines nicht gedeuteten Traums, der wie ein Vogel über dem Haus schwebt, ohne sich zu setzen.

Nun sind wir auf Höhe des Meeresspiegels und schwimmen an Land. Sobald wir Boden unter unseren Füssen spüren, erheben wir uns und blicken auf eine tote Stadt. Eine Baustelle, die Arbeiten ruhen. Die Barmittelquelle ist versiegt, das Investmentprojekt erloschen. Verlassen steht dort eine Leiter, der einige Sprossen fehlen und erzählt von übersprungenen Stufen und nicht adäquaten Entwicklungen. In der Ferne gähnt ein Stadion wie der Krater eines erloschenen Vulkans, sein Tribünenrund lacht wie Etwas, das sich geschworen hat, nie wieder zu lächeln.

Uwe Schäfer sieht einem Ei an, ob daraus eine Taube oder ein Geier werden wird und er kann mit seinem Blick Warzen heilen.

Kurt Wettengl, Museum am Ostwall, Dortmund
O moment stay ...
Installations and paintings by Uwe Schäfer

Für einige Wochen fügt Uwe Schäfer mit seiner Arbeit „Warten IV“ dem Ensemble der Stahl-Plastiken im Park des Museums am Ostwall einen gebauten Raum hinzu, der sich im Bereich zwischen Skulptur und benutz­barer Installation bewegt. Auf der Terrasse hinter dem Museum errichtet der Künstler eine Hütte aus Materialien, die er zum Teil im Keller des Dortmunder Künstlerhauses vorfand. An ihnen lassen sich Spuren des Gebrauchs erkennen. 

Ein Teil der begehbaren Installation ist, der Bauweise von Gewächshäusern entsprechend, transparent gehalten und erfüllt genau diese Funktion: Auf dem Boden stehen vier Kästen mit Blumenerde und unterschiedlichen Pflanzen. Die bereitgestellte Gießkanne ist Hinweis auf die Notwendigkeit des Wässerns und Einladung zur Handlung zugleich. Der andere Teil der Installation ist geschlossen und schützt die­jenigen, die das Angebot zum Verweilen an diesem tempo­rären Ort annehmen, vor unmittelba­ren Einblicken. Rund um die Uhr können sich die Eintretenden an einen Tisch setzen, sich hier aufhalten und eigene Gedanken in das ausgelegte Buch schreiben oder die bereits vorhandenen lesen. Für die Phase des Aufent­haltes nehmen sich die Besu­che­rinnen und Besucher des eher unschein­baren und durch seine Innenbeleuchtung auch nachts einladenden Bauwerks ein wenig aus der Zeit heraus. Als Gäste der Hütte können sie ihren Aufent­halt schreibend und tätig oder ruhend und reflexiv verbringen; andere beobachten vielleicht eher die Vorgänge im Park, manche über­nehmen möglicherweise Verantwortung für die Pflanzen, indem sie diese gießen. Es gibt keine definierten Handlungsanweisungen und viele Formen des tätigen oder untätigen Wartens, wie der Titel der Arbeit nahe legt, sind vorstellbar. 
Der Dortmunder Hütte „Warten IV“ gingen entsprechende und ebenfalls mit jeweils vorgefundenen Materialien gebaute Installationen an verschie­denen Orten voraus: in einem ehemaligen Kloster (Hospitalhof) in Stuttgart, im Park des Bürgerhospitals (Klinik für Psychiatrie und Sucht), ebenfalls in Stuttgart, sowie im Gemeindepark von Boxmeer in den 
Nie­der­landen. An diesen Orten sahen die Hütten durch die verwendeten Materialien verschieden aus, wirkten auch durch den Bezug zu den sie umgebenden Gebäuden anders und wurden von den Gästen unterschiedlich angeeignet.
Wenngleich Uwe Schäfer seine bisherigen Hütten „Warten I - III“ im Kontext von Kunstausstellungen zeigte, so steht die Dortmunder Installation nun erstmals in unmittelbarer Nähe zu einem Museum und damit in Nachbarschaft zu einer offensichtlich kulturellen Einrichtung. Dabei ist die kleine Hütte, die bautypologisch und – mit den kleinen Beeten und der Gießkanne – auch funktional dem Gewächshaus nahe kommt, selbst ein Ort der Kultur. Begriffe wie Aufzucht, Pflege und Kultivierung sind uns sowohl aus dem Bereich des kulturellen Lebens wie dem der Natur, also dem Acker- und Gartenbau, bekannt. Verfolgt man mit dem Soziologen Zygmunt Baumann den Begriff Kultur in die Zeit seiner Entstehung zurück, so gelangen wir in das späte 18. Jahrhundert, in dem sich auch die Institution Museum zu einem der Orte der Kultur ausbildete. Mit dem Begriff der Kultur war von Anfang an ebenso die Vorstellung der bewussten und aktiven Pflege wie die Idee der zielgerichteten Aktivität verbunden, durch die am Menschen – der seit der frühen Moderne als formbares Wesen verstanden wurde – notwendige Verbesserungen bewirkt werden könnten. 
In diesem gedanklichen Kontext lässt sich der Verbindungslinie zwischen den Aufstellungsorten der Installationen „Warten I - IV“ auf die Spur kommen: Eine eher offensichtliche Gemeinsamkeit liegt darin, dass sie alle in parkähnlichen Anlagen und damit in einer vom Menschen gestalteten Um­gebung aufgestellt wurden, die ebenso der Pflege bedürfen wie die kleinen Beete in der Hütte. Die temporären Bauten des Künstlers auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters, einer psychiatrischen Klinik oder in nächster Nähe zum Museum verbinden sich jedoch zugleich durch die im Begriff der Kultur eingeschriebene Idee der Verbesserung des Menschen. Dabei sind die vormoderne Institution des Klosters, wie die modernen Einrichtungen Klinik und Museum aber nicht nur Orte des Glaubens, der Heilung und der Bildung, sondern zugleich Instanzen der Macht, die kontrollieren, reglementieren und normieren. 
Die Installationen „Warten I - IV“ sind Kunstwerke, die uns durch die Errichtung in entsprechendem Kontext, diese Einsicht in die gesellschaft­lichen Instrumentarien der Macht gewinnen lassen und die zugleich die Hoffnung auf Freiräume und neue Ausformungen menschlichen Zusammenlebens offen halten. Denn sie bieten die Chance, sich in dem weni­ger offenen Teil der Hütte ohne kontrollierten Blick von Außen und ohne Handlungsanwei­sung zu verhalten. Die Hütten „Warten I - IV“ sind „Möglichkeits­räume“, die die Verantwortung des Menschen für die Umgebung und seine Selbstverantwortung mit einfachen und gebrauch­ten Materialien und auf spielerische Weise thematisieren.

Den vier Hütten „Warten I - IV“ korrespondieren im Studio des Museums am Ostwall Zeichnungen und Skizzen sowie vier ähnlich improvisiert gebaute Vitrinen: sie enthalten Dokumente zu den Installationen, Besu­cherbücher aus den Hütten mit Eintragungen, einen Führer zu einhei­mischen Pflanzen, eine Anleitung für Jugendliche zum Bau kleiner Hütten, Lite­ratur über die lebensreformerische Künstlerkolonie auf dem Monte Verità seit den 20er Jahren und den von Günther Metken in den 70er Jahren als „Spurensucher“ bezeichneten Künstler Nikolaus Lang, auch eine Publikation mit Interviews Marcel Duchamps. In diesen scheinbar disparaten Materialien gibt es Verbindungslinien, deutet sich der geistige Horizont an, aus dem die Arbeiten Uwe Schäfers entstehen: Der Bezug zur Kunstgeschichte und zur „Spurensuche“, das Interesse an Natur und Naturgeschichte, das mit Marcel Duchamp geteilte Selbstverständnis, dass Kunst mehr ist als das bloße „retinale“ Erlebnis, sowie die darauf basie­ren­de Idee der Ermöglichung gesellschaftlicher und sozialer Erfah­rung in und durch Kunst.
Die Hütte im Park des Museums und die Vitrinen im Inneren gehen mit den ebenfalls gezeigten Gemälden Uwe Schäfers und ihren Motiven eine Verbindung ein: Pflanzen, Naturansichten und Gebäude unterschiedlicher Art umkreisen das Thema der Behausung und der Landschaft. Die Gemälde entstehen nach Dias, die der Künstler in verschiedenen Orten und Landschaften, seinen Formvorstellungen und gedanklichen Leitlinien entspre­chend, aufnimmt. In seinem Atelier projiziert er sie, vollständig oder in Ausschnitten, in Verkürzungen und Verzerrungen auf die Leinwand und überlagert sie im Malvorgang. Das Verfahren lässt sich mit der Archäologie vergleichen und als deren Umkehrung bezeichnen: Während in der wissen­schaftlichen Grabung Schicht für Schicht abgetragen wird, um Schritt für Schritt zu Erkenntnissen über den Ort und seine Bewohner zu gewinnen, legt der Maler Uwe Schäfer im Malprozess Schicht für Schicht überein­ander. Allmählich entstehen „Ortsbeschreibungen“, die auf den vom Künstler wahrgenommenen Atmosphären und Eigenheiten basieren und durch die Überlagerung von foto­grafierten Ansichten und gespeicherten Erinnerungen im Mal­vorgang entstehen. In unserem Seh­vorgang durchdringen wir wiederum Ebene für Ebene, nicht immer mühelos, denn manchmal wird unser Auge dazu angehalten, versperrte Bildräume zu durchwandern und hier und dort länger zu verweilen.

With his work „Warten IV“ (Waiting IV) Uwe Schäfer adds a constructed space to the ensemble of steel sculptures in the park of the Museum am Ostwall for a few weeks, a space ranging in bet­ween sculpture and usa­ble installation. On the terrace behind the museum the artist builds a hut from materials he partly found in the cellar of the Künstlerhaus Dortmund. Traces of use can be detected on them. 

Part of the walk-in installation is, accordant with the constructive form of greenhouses, kept transparent and serves exactly this purpose: there are different plants and four boxes with potting compost on the floor. The provided watering can is both a hint at the necessity of watering and an invitation to do so. The other part of the installation is closed and protects those from direct views who accept the invitation to dwell in this temporary place. People can enter around the clock and sit down at a table, they can linger and write their own thoughts into the pre-positioned book or read the ones that are already there. For the period of their stay the visitors of the rather inconspicuous building – inviting also at night because of its interior light – step a bit out of time. As guests of the hut they can spend their stay writing and active or resting and reflexive; others may prefer to observe the events in the park, some possibly take responsibility for the plants by watering them. There are no defined instructions for action and many forms of active or passive waiting – as the title of the work suggests – are imaginable. 
Similar installations, made of found materials as well, have preceded the Dortmund hut „Warten IV“ in different places: in a former cloister (Hospitalhof) in Stuttgart, in the park of the Bürgerhospital (Clinic for Psychi­atry and Addiction), also in Stuttgart, as well as in the municipal park of Boxmeer in the Netherlands. In these places the used materials made the huts look different, they also appeared different due to their connection to the surrounding buildings and were approached differently by their guests. 
Whereas Uwe Schäfer showed his previous huts „Warten I - III“ in the context of art exhibitions, the Dortmund installation is for the first time 
located right next to a museum and thus in the neighbourhood of an 
apparently cultural institution. But the little hut, in its building typology and functionality – with its little flower beds and the watering can – quite appro­ximate to the greenhouse, is a place of culture itself. Terms like breeding, nurture and cultivation are well known to us both from the field of cultural life as from that of nature, agriculture and stock breeding. If one follows the term culture back to the times of its creation with the sociologist Zygmunt Baumann, one gets into the late 18th century in which the institution museum too developed into one of the places of culture. Right from the beginning the term culture was connected to both the ideas of the conscious and active nurture and the goal-directed activity, through which necessary improvements could be effectuated in man – who was seen as a moldable being since early modern times.

One can get on to the track of the connecting line between the sites of the installations „Warten I - IV“ in this intellectual context: a rather obvious commonality is that they were all installed in parklike areas and thus in an environment shaped by man that needs attending to just like the little flower beds in the hut. 
The artist’s temporary constructions on the grounds of a former cloister, a psychiatric clinic or next to a museum are however likewise linked by the idea of the improvement of humanity that is inscribed in the term culture. The premodern institution of the cloister as well as the modern insti­tutions of the clinic or the museum are not only places of belief, of healing and education though, but also instances of power that control, reglement and standardize.
The installations „Warten I - IV“ are works of art that make us gain this insight into the social instruments of power through their construction in the respective context and that at the same time keep up the hope for free spaces and new implementations of human co-existence. For they offer the chance to be in the less open part of the hut without controlling views from outside and without instructions for action. The huts „Warten I - IV“ are „places of possibility“, thematizing man’s responsibility for the environment and his self-responsibility with simple and used materials and in a playful way 

Corresponding to the four huts „Warten I - IV“ the studio of the Museum am Ostwall shows drawings and sketches as well as four vitrines improvised similarly: they contain documents on the installations, visitor’s books from the huts with entries, a guide to native plants, instructions for building small huts for young people, literature on the life-reformist artist colony on Monte Verità since the 1920s and on the artist Nikolaus Lang whom Günther Metken called a „Spurensicherer“ (securer of evidence) in the 1970s, plus a publication of interviews with Marcel Duchamp. There are connecting lines in these seemingly disparate materials, there is a suggestion of the intellectual horizon which Uwe Schäfer’s works originate from: the reference to art history and „Spurensicherung“ (securing of evidence), the interest in nature and natural history, the conviction – shared with Marcel Duchamp – that art is more than just the „retinal“ experience and, based on that, the idea of facilating collective and social experience in and through art. 
The hut in the park and the vitrines inside also relate to Uwe Schäfer’s paintings on show and their motifs: plants, views of nature and various kinds of buildings circle the theme of habitation and landscape. The paintings are based on slides that the artist takes in different places and landscapes according to his ideas of form and his intellectual guidelines. In his studio he pro­­jects them onto the canvas, completely or partially, in foreshortenings and contortions, and layers them in the process of painting. The procedure is comparable to archeology and can be regarded as its inversion: whereas in scientific excavation layer after layer is removed to gain step by step knowledge about the place and its inhabitants, the painter Uwe Schäfer puts layer upon layer in the process of painting. „Topographics“ are created gradually, based on the atmospheres and 
peculiarities experienced by the artist and emerging in the process of painting through the superposition of photographic views and stored memories. In our visual process we, on the other hand, cut through level after level, not always effortlessly, for sometimes our eye is challenged to wander through obstructed image spaces and dwell a little longer here and there.

Landschaft. Nach der Natur

Notizen zu Uwe Schäfers Malerei

Helmut A. Müller , Hospitalhof Stuttgart

1.
Mit Corinne Wasmuht, Franz Ackermann und anderen gehört Uwe Schäfer zu einer Gruppe von jüngeren Maler-Innen, die sich mit Landschaft im weitesten Sinne als Natur-, Kultur- und Stadtlandschaft auseinandersetzen. Man kann annehmen, dass diese Maler-Innen wissen, dass die traditionelle Ästhetik die Anschauung der Natur noch als „erinnernde Teilhabe an ihrem eigentlichen Zustand verstanden“ hat: „als ein Gewahren der kosmischen Ordnung, als Lektüre des göttlichen Buchs der Natur, als Schau der Ideen oder als Begegnung des Subjekts mit seinem übersinnlichen Wesen“.
Man kann weiter davon ausgehen, dass die überkommenen Grundmuster, mit denen man sich zur Natur verhalten hat, weiter wirken und dass man sich ihrer auch in der realisierten Moderne bedient. Aber man versteht sie neu und anders. Hinter der kontemplativen Abwendung vom tätigen Handeln und der Zuwendung zur schönen, schrecklichen Natur steht weniger die aus der Antike überkommene Schau eines harmonischen Natur-ganzen als vielmehr die Frage nach einem eigenen Platz im Gesamt der Evolution von Kosmos und Leben. Hinter der Frage nach möglichen Korrespondenzen zwischen einem paradiesisch vorgestellten und dem eigenen Leben steht weniger das Modell des Gartens, in dem der Mensch dem Schöpfer täglich begegnen und sich mit ihm beraten kann als die Vorstellung, dass der Mensch auf dem grünblauen Planeten Erde vor allem sich selbst und den Folgen eigenen Tuns begegnet und nicht dem göttlichen Fluch.
Fürsorglichen, bewahrenden, nachhaltigen, „grünen“ Umgang mit der Natur schuldet er eigener Einsicht. Ästhetik als ein möglicher Umgang mit Natur mündet ein in Lebenskunst. Schließlich muss Natur nicht länger ausschließlich Vor- und Nachbild der Kunst, sondern sie kann beides sein. Landschaftsmalerei als ein mögliches Verhalten zur Natur tritt als eigenständige künstlerische Gestaltung neben das Geschaffene, neben die Natur. „Landschaftsmalerei ist von ästhetischer Natur umformte Lebenswirklichkeit des Menschen“.

2.
Uwe Schäfers malerisches Werk weist eine besondere Nähe zur Landschaftsmalerei von Hercules Seghers auf. Mit dem wohl 1589 geborenen und wohl 1638 gestorbenen holländischen Maler und Radierer teilt Schäfer die Freude am experimentellen Denken. Seghers druckte als einer der ersten Künstler seine Blätter in einem und auch in mehreren Tönen und übermalte sie später auch stellenweise. Mit Seghers teilt er weiter den Blick von oben auf die Landschaft – die Vogelperspektive. So hat Schäfer die Insel Teneriffa vom Flugzeug aus fotografiert und sie zentral als perspektivisch schräg verzerrte rote Form in seine Arbeit „Inseln“ eingebracht. Der Teide bleibt erkennbar und auch die Konturen der Küsten der Insel. Dann aber „collagiert“ er diese landschaftliche Formation mit anderen grünen, blauen, roten und schwarzblauen Formen, die er im Bild über und unter die rote Hauptform legt. Es sind alles Inseln, die sich Schäfer beim Wandern erschlossen haben. Über diese Inselformationen legt er Pflanzen, die der jeweiligen Landschaft entsprechen. So kommt neben dem Kaktus der Tannenbaum zu stehen. In Komposition und Wirkung steht Schäfers Erinnerungsbild aber eher bei den Vorstellungen von chinesischer Landschaftsmalerei mit ihrem Rhythmus, ihrer Poesie und ihrer dichterischen Sprache als bei dem holländischen Landschaftsmaler.

3.
In seinen an seiner eigenen Körpergröße orientierten malerischen Objekten in den Längen von 169,5 cm und in Höhen und Breiten zwischen 15 und 17 cm findet Schäfer seinen für ihn gültigen Übergang zwischen Natur-, Kultur- und Stadtlandschaft. Diese malerischen Objekte erinnern an Schwundformen und Fragmente von Behausung, haben Häuser oder Architekturformationen im Hintergrund und sind in zwei oder drei Schichten gemalt. Über den Häusern liegen Pflanzen. Die Objekte erinnern an Strecken und Filmsequenzen, die sich Schritt für Schritt erschließen lassen. Man kann an Übergangszonen zwischen Stadt und Land ebenso denken, wie an aufgegebene Siedlungen, die von der Natur zurückerobert worden sind. Und schließlich auch daran, dass es Zonen in Städten gibt, die Natur eher bewahren als das Land. Wenn es auf Schäfers Bildern eine Fauna gäbe, könnte etwa an Feldhasen erinnert werden, die derzeit eher in städtischen Parks als auf den intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen überleben. Aber Tiere kommen in Schäfers Landschaftsmalereien ebenso wenig vor wie Menschen. Schäfers Malereien sind allesamt prä- oder postanimalische und prä- oder posthumane, ganz und gar künstliche Landschaften.

4.
Mit Per Kirkeby teilt Schäfer naturkundliche und naturwissenschaftliche Interessen. Wie Kirkeby strebt auch Schäfer lange Aufenthalte in möglichst naturbelassenen Zonen an. Während die Landschaftsbilder des promovierten Geologen Kirkeby gleichsam aus endlosen Ablagerungen malerischer Schichten und aus Sedimenten von Pigmenten und Bindemitteln herauswachsen, bauen sich Schäfers Malereien aus pflanzlichen Überformungen von scheinbar wie selbstverständlich gegebenen Landschaften auf. So ist die in der unteren Bildhälfte gespiegelte Seenplatte in der Malerei „Lappland“ von einem wie ein Urwald wirkenden Gestrüpp aus Moosen und Flechten überzogen; in der Natur sind diese Pflanzen nur 15–20 cm hoch.
In den Malereien „Rhabarber I“ und „Rhabarber II“ liegen über dem virtuosen Spiel von Rhabarber- und anderen Pflanzenformationen mit ihren einander überlagernden und begrenzenden, glänzenden und matten Flächen weiße Großformen von Bärenklau und schwarze Großformen von Aloe Vera. In diesen Arbeiten ist die Landschaft ganz in die Flora eingetaucht. Die Flora ist zur Landschaft geworden.
Man kann sich natürlich fragen, ob Schäfer die Aloe Vera und andere Heilpflanzen auf seinen Bildern als Gegengift gegen die kulturell überformte Natur versteht und ob er den Wechsel zwischen Stadt und Land braucht, weil er sich von der Natur Heilung erwartet. Wenn Schäfer Heilpflanzen prominent in seine Bilder setzt, kann man vielleicht aber auch an die Vertreibung aus dem Paradies denken und an die Vorstellung, dass die Natur einmal als Mutter allen Lebens gedacht worden ist. Schließlich und vor allem wird man Schäfers Malereien „Rhabarber I“ und „Rhabarber II“ als freies ästhetisches Spiel mit Farben und Formen, als Maler

5.
Uwe Schäfers Malerei „Resurrezione“ übertrifft die bisher besprochenen noch in ihrer elaborierten Künstlichkeit. Diese Arbeit fällt schon durch ihre strenge dreifache Gliederung auf, die noch ganz entfernt an die Flachlandschaften von Hercules Seghers erinnern. Man kann natürlich auch an die Strips von Barnett Newman und an die ganz aus der Farbe heraus entwickelten Wüstenformationen von Bernd Zimmer denken. Die Basiszone dieser Malerei wird durch einen über und über zugewachsenen fahlbunten Streifen aus Pflanzen und Gebüschgebildet. Darüber liegt ein etwas breiterer, fahl-rosa-farbener Strip. Die obere Bildzone weitet sich zu einem fahl-gelben Bildraum aus. Schon aus der Anordnung der Streifen und ihrer zunehmenden Breite ergibt sich so etwas wie eine Aufwärtsbewegung. Diese Bewegung wird paradox verstärkt durch Pflanzenelemente, die in die Basisformation eintauchen oder sich von ihr lösen. So steht eine stark rote, aufrecht stehende geflechtartige Pflanzenformation auf der linken Seite des rosa Strips. Diese Formation taucht entweder in die Basisformation ein oder aus ihr auf. Auf der gegenüberliegenden rechten Seite haben sich rotbraune Dornen aus dem Basisgestrüpp gelöst und zu einer Dornenkrone formiert. Über dieser Dornenkrone liegen zwischen rosa und gelber Zone Rosenzweige wie nach dem Beschneiden von Rosenbüschen über- und durcheinander. Dennoch ergibt sich der Eindruck einer Kreuzformation. In gelben Streifen schweben zwei braune, Rhabarberblättern nachempfundene Wolken, die wie Riesenvögel wirken. Auf- und absteigende gelbe Federn oder Blätter verbinden die Farbzonen in einem Art Regel-Kreis.
Diese Malerei zeigt, dass Schäfer weiß, dass Landschaft ebenso wie der Kreislauf der Natur in der Tradition als Einladung zum Transzendieren und landschaftliche Räume als Metaphern für das Übersteigen des Vergänglichen auf das Bleibende, Göttliche hin gelesen worden sind. Näher betrachtet lässt Schäfers Malerei erkennen, dass sie weiß, dass zu einer Krone geformte Dornen und ein Kreuz aus Zweigen von Rosen auf den christlich verstandenen Schmerz der Erlösung verweisen, auf die Menschwerdung des Gottessohns, sein Geborenwerden, Leiden, Sterben und sein Auferstehen: Jesus Christus, „welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, nahm er’s nicht als einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward gleich wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist ...“ (Phil. 2, 6–9).
Inkarnation und Auferstehung imaginierend kann der Betrachter/die Betrachterin wenn er/sie will, die Dreiteilung dieses Bildes symbolisch als Verweis auf Leben, Sterben und Auferstehen hin lesen. In der Kreisbewegung der Blätter oder Federn scheinen natürliche Zyklen, Wiedergeburtsvorstellungen und die Vorstellung von wiederholtem Erdenleben auf, wie sie sich etwa auch in der Anthroposophie finden. Das Miteinander von Dornenkreuz, Wolken- oder Vogelformation und im Hintergrund verschwindender blauer Formation kann als schwacher Verweis auf traditionelle ikonographische Vorstellungen von der Dreieinigkeit als Vater, Sohn und Heiliger Geist gelesen werden. Dass die Vorstellung postmodern gebrochen ist, zeigt nicht nur die zweite Wolken- oder Vogelformation über der aus der Mitte an den rechten Rand gerückten zentralen Szene, sondern auch der Verzicht auf jede Art von BetrachterIn im Bild. Es gibt keinen Mönch am Meer mehr wie bei Caspar David Friedrich, der zur Einstimmung in das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit bei der Kontemplation der schönen und schrecklichen Natur einlädt. In „Resurrezione“ ist Auferstehung nur noch vielfach vermittelt und gebrochen anwesend. Die Malerei überlässt es dem Betrachter/der Betrachterin, den offenen Vorstellungshorizont in der eigenen Imagination zu vollenden.

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